WILSON DER ANTIAUSSIE TEIL: 46

von Mira Berghöfer

DIE GROßen FERIEN_2

„Mistkerl!“, war das Einzige, was ich noch brüllen konnte, als ich seine Schwanzspitze im Unterholz verschwinden sah. Das ist nämlich unser Wort, welches ankündigt, dass wir das Brechen eines generellen Verbots noch ausdiskutieren werden.

Nachdem er sich auch danach nicht doch noch spontan entschied, seinen Ausflug abzubrechen und wenn schon nicht für mich oder das Reh, dann doch zumindest um des lieben Friedens willen, einfach zu mir zurückgekommen war, könnte man sagen, dass ich kurz vor einem riesigen Wutausbruch stand, den ich nur mit Müh‘ und Not zurückhalten konnte. Wilson versteht, so heißt es zumindest, die Konsequenzen seiner Handlungen ja nicht. Bringt also nichts, wütend zu werden…ruhige Konsequenz, das ist die beste Medizin. Allerdings finde ich es nur menschlich, dieses Tier in solcherlei Situationen auf den Mond schießen zu wollen. Nicht nur, dass er sich nicht benehmen kann und mich immer wieder dastehen lässt, als hätte ich ihm keine Manieren beigebracht. Viel entscheidender war hier im Speziellen, dass er mit seinem Ausflug ins Unterholz die nächsten Wochen unserer Ferienzeit entscheidender bestimmte, als jede Hitzewelle es tun konnte. Ab diesem Ereignis hieß es nämlich für mich mal wieder: Rehe suchen. Im Morgengrauen aufstehen und durch die noch halb düsteren Wälder des Stadtrandes schleichen, in der Hoffnung ein Reh aufzutreiben, anhand dessen ich meinem Hund erklären konnte, dass er derlei Geschöpfe nicht zu jagen hat: Nicht gerade die Idealvorstellung meines Urlaubs! 

Interessant und nicht weniger anstrengend ist im Übrigen, wie sich Wilson nach derartigen Regelbrüchen verhält. Der weiß nämlich, auch wenn man sagt, es sei nicht so, ganz genau, wie sauer er mich macht. Andere Hunde kommen glücklich aus dem Wald und sind ganz verwirrt darüber, wenn ihre Besitzer ihnen erst mal eine Standpauke halten. Glücklich ist das Tierchen im ersten Moment auch (ich gehe nämlich einfach weiter und der freut sich dann immer, wenn er mich gefunden hat (im Gegensatz zu mir, die immer noch hofft, er schließe sich irgendwann versehentlich dem falschen Rudel an)), wittert dann aber schon von Weitem meinen Zorn. „Der emphatischste Hund, den ich kenne.“, meinte letztens eine Kollegin zu mir. Recht hat sie! Wenn Wilson nämlich einmal gerochen hat, dass ich über den Kontrollverlust und dem Frönen seiner Triebe nicht so glücklich bin, meidet er mich. Hund genug sich den Ärger für sein Vergehen abzuholen, ist er de facto nämlich nicht. Er schleicht dann den Rest des Spaziergangs in sicherem Abstand von 100 Metern hinter mir her. Wenn ich stehen bleibe, bleibt er stehen. Wenn ich renne, rennt er hinterher. Wenn ich zurückgehe, flieht er, als sei der leibhaftige Teufel hinter ihm her. 

Ich weiß ja mittlerweile, was auf mich zukommt und in diesem einen Fall wollte ich mal klüger sein. Als der Herr sich also begnügte, seine Jagd abzubrechen und zu mir zurückzukehren, versteckte ich mich. Ich wollte ihn schön in die Falle laufen lassen, um die Missetat auszudiskutieren und so wenigstens den Rest dieses Spaziergangs noch gemeinsam zu beenden. Also lief ich vor und hockte mich hinter den nächsten Baum, um zu warten. Doch es geschah nichts. Er hatte mich gesehen, so viel wusste ich. Klar war außerdem, dass wenn ich aufgeben und aus meinem Versteck lugen würde, er den Braten röche und ich die Operation abbrechen müsste. Was macht die findige Müdi-Besitzerin in derlei Situationen? Genau, gemütlich machen und die Situation im wahrsten Sinne des Wortes aussitzen, während sie auf dem Handy Notizen für die Ferienartikel sammelt. Klares Kräftemessen und das am ersten Tag unserer Ferien…und wer hat wohl gewonnen? Die Antwort könnte überraschen!

Sage und schreibe 15 Minuten habe ich ausgeharrt und der Herr hat sich nicht bequemt nachzugeben. Das nenne ich mal Selbstbewusstsein…Als ich schließlich genug gewartet hatte und aufgrund der fortschreitenden Uhrzeit bereits den Einfall ganzer Horden von Kindern aus Stadtranderholungsprogrammen befürchten musste, riskierte ich einen Blick um die Ecke: Der kleine Pfad war leer, kein Müdi war zu sehen, was mich in kurze Panik versetzte. Wenn der nämlich zurück zum Auto gelaufen wäre, hätte er ja vielleicht einen ahnungslosen Passanten davon überzeugen können, ihm den Maulkorb abzunehmen, oder Schlimmeres. Also trat ich auf den Weg, um genauer nachzusehen, und erblickte das Tier. Am Rande der Böschung im weichen Gras. Schnarchend. Hatte der sich wohl gedacht, dass er die Zeit meiner zwecklosen Erziehungsmaßnahme dafür nutzen könnte, sich von seinem anstrengenden Ausflug zu erholen. Da lag er also, hatte sich auf dem weichen Untergrund zusammengerollt und war tief und fest eingeschlafen. Blöd für ihn, dass er dadurch sogar nicht mitbekam, wie ich mich an ihn heranschlich und ihn ein großes Donnerwetter überkam. 

Habe ich diese erste Diskussion schließlich also doch gewonnen! Welch’ ein Triumph! Zwar lediglich aufgrund akuter Müdigkeit der gegnerischen Partei, aber was soll’s, man muss die Schwächen des Gegners kennen und für sich zu nutzen wissen. 

Was mich dennoch besorgt, ist die Einsicht, dass wenn mich dieses Tier im Wald tatsächlich mal verliert, er tatsächlich total aufgeschmissen wäre. Der würde keine fünf Stunden allein überleben…Tiefschlaf alleine in der Wildnis…mein toller reinrassiger Hütehund. Könnte aber auch einfach an dem tiefen Urvertrauen liegen, dass ich ihn ja doch irgendwann immer finden und mit nach Hause nehmen würde, oder zumindest der Ahnungslose nach Feierabend und bis dahin kann man sich ja auch mal ein Schläfchen gönnen. Sind schließlich Ferien!