WILSON DER ANTIAUSSIE TEIL: 54

von Mira Berghöfer

STÖRGERÄUSCHE

Müdis und mein neuestes Thema ist gleichsam seine neuste Leidenschaft. Bekanntlich denkt sich mein Tierchen ja gerne mal neue Dinge aus, um unsere besondere Beziehung auf die Probe zu stellen.

Da war von seiner urplötzlich erwachten Jagdleidenschaft bis hin zur (Wieder-) Entdeckung seines Sexualtriebs eigentlich alles dabei. Ein Potpourri der schlechten Angewohnheiten, die sich immer dann zeigen, wenn ich es so gar nicht erwarte. 

„Der Hund sucht sich seine Aufgaben, wenn man ihn nicht auslastet“, denke ich unweigerlich, wenn ich mal wieder fassungslos im Wald stehe, während Müdi nach 354 brav ignorierten Wildwechseln das 355ste Reh dann doch kurz jagen geht. So heißt es jedenfalls in der gängigen populärwissenschaftlichen Literatur. Bei der Diskussion solcher Aussagen wäre mein Müdi immer ein unumstößliches Gegenargument. Bei noch mehr Auslastung würde er nämlich die Tierschutzbehörde rufen. So arbeitet er schließlich an den Wochenenden mit mir in Altersteilzeit als Assistent in der Hundeschule. In der Woche muss er wiederum die Pace des Ahnungslosen für den nächsten Wettkampf verbessern. Zudem sollte man auch die täglichen Strapazen der Hunderunden, Raufeinheiten und Trickstunden nicht vergessen. Für einen Müdi mehr als genug ToDos, zwischendurch will man dann ja auch mal Rentner sein. Schließlich muss ja auch noch irgendwer dem Sofa seinen Tribut zollen. Will man ja auch nicht ungenutzt lassen, hinterher hat sich der Kauf gar nicht gelohnt! Ich stimme eigentlich weitestgehend mit dem Hund überein: Er hat genug Auslastung und vielleicht an manchen Tagen sogar etwas zu viel für einen alternden Müdi-Hund.

Dennoch scheint er sich nicht darüber klar zu sein, dass sich bei ausreichender Auslastung keine schlechten Angewohnheiten etablieren sollten. Denn trotz all seine Jobs, hat er sich jüngst überlegt, von nun an auch noch als Hofhund zu agieren. Dabei muss ich einschränkend erwähnen, dass wir nicht auf einem Hof leben, was ihn gegebenenfalls zu diesem falschen Rollenbild verleitet haben könnte. Nein, wir leben in einem innerstädtischen Viertel. Kleine Altbauwohnung, ohne Garten. Dennoch denkt Herr Müdi, er müsste plötzlich ganz „aussilike“ seinem territorialen Verhalten frönen. Daher vermittelt er jedem Menschen, der es wagt, unser Haus zu betreten, dass er ganz und gar kein Recht dazu hätte. Dies äußert sich vornehmlich durch ausgiebiges Bellen. Bellen, bellen und nochmals bellen. Mich als eher geräuschempfindlichen Menschen, der froh ist, wenn er abends und an den Wochenenden seine Ruhe vor den Geräuschen und dem Lärm der Welt hat, treibt das natürlich in den Wahnsinn. 

Die Diskussionen, die Herr Wilson und ich deswegen bis dato hatten und immer noch haben, sind endlos. Die Auswirkungen für ein harmonisches Miteinander nicht wirklich förderlich. Zumal der Ahnungslose dieses Verhalten immer mit dem gängigen Kommentar: „Er ist ein Hund und die bellen nun einmal“, kommentiert. Auch nicht zuträglich, denn eigentlich und ursprünglich hat mein Hund zumindest niemals in diesem Ausmaß von seinen Stimmbändern Gebrauch gemacht. Seine neu aufgestellten Maxime lautet: In seine Wohnung soll wirklich niemand reinkommen. Damit nach Müdi-Logik keine Missverständnisse entstehen, sollte es dennoch mal jemand wagen die Türschwelle zu übertreten, warnt er halt. Sehr freundlich eigentlich, dass er es schafft allen Menschen, die unseren Hausflur betreten, darüber zu informieren, dass im EG links ein Müdi haust. Doof nur, dass wir im Erdgeschoss eines Fünf-Parteien-Hauses wohnen. Da gehen einige Menschen ein und aus…

Ich habe, wie gesagt endlose Diskussionen mit dem Tierchen ausgetragen. Nach einiger Zeit hatten wir uns sogar so sehr in den Haaren, dass er mich nur noch mied. Gerne den Raum wechselte, wenn ich nach Hause kam und es noch nicht einmal mehr in Betracht zog, gemeinsam mit mir auf dem Sofa zu schmusen. Als wir uns dann nach Wochen vermeintlich mit der Etablierung eines Bell-Abbruch-Kommandos geeinigt zu haben schienen, ereignete sich ein folgenschwerer Zwischenfall. So wurde das Fahrrad des Ahnungslosen, des Herrn und geliebten besten Freundes eines Müdi-Tieres, am helllichten Tag aus unserem Hausflur entwendet. Wir Menschen waren nicht im Hause, das Tierchen leider schon. Er hatte den Verlust des Ahnungslosen liebsten Stückes wohl live mit angehört. Da Herr Wilson niemals verlieren kann, sollte sich jeder vorstellen können wie empört und auch verstört er auf jenen Zwischenfall reagierte. Seitdem ist jedenfalls all unser Anti-Bell-Traningserfolg verloren. Also pflege ich meinen Geduldsfaden und fange von vorne an ihm zu erklären, dass böse Menschen manchmal Unrecht tun und selbst ein Müdi-Tier daran nichts ändern kann. 

Eine Frage an die großen Hundekenner da draußen: Was macht man mit einem Tier, dass sich nichts Schöneres vorstellen kann, als sich eigene Wirkungsbereiche zu suchen, und sich gleichzeitig bezüglich „artgerechter“ Auslastungs- und Beschäftigungsstrategien vollkommen beratungsresistent zeigt? Meine Antwort wäre: Lächeln, Winken und sich fragen, womit man gerade diesen Hund verdient hat. Nun ja neben all der Bitterkeit: Gerade liegt er wieder neben mir auf dem Sofa, erschöpft vom harten Aushilfsrentnerjob und rennt im Traum über Felder und Wiesen. Wenn ich ihn dabei so ansehe, muss ich mir eingestehen, dass ich ihn ganz manchmal doch auch ganz schön gernhabe. Trotz der Bellerei, trotz der Miesmadigkeit und trotz aller Trägheit, mit der er mich manchmal in den Wahnsinn treibt. Und unterm Strich hat er mir bisher auch sehr viel beigebracht: Über unerwünschtes Hundeverhalten und die unterschiedlichsten Strategien dieses auszuschalten. Und während wir an unserem aktuellen Problem arbeiten frage ich mich, ob nach nun mehr zehn Jahren, diese Prüfungen und Aufgaben langsam mal ein Ende haben. Vielleicht wird er ja doch noch altersmilde… Ich finde ganz ehrlich, wenn wir diesen Kampf erfolgreich ausgefochten haben, habe ich es mir wirklich verdient.